Die Pressefreiheit entsteht aus den Arbeitsbedingungen

Numéro 51 – Septembre 2016

Die heutige Medienproduktion läuft im Takt von Tweets, Eilmeldungen und Sondersendungen. Nun könnte man hier gleich den kulturpessimistischen Refrain anstimmen, wonach früher alles besser war. Doch dies wäre blosse Nostalgie : Die verfügbare Zeit war – bedingt durch den Redaktionsschluss – schon immer knapp im Journalismus, das Tempo sein Lebenselixier. Und die Unabhängigkeit der Redaktionen war – trotz der Pressefreiheit – nie von sich aus gegegeben, sondern musste stets aufs Neue erkämpft werden.


Wenn sich aber diese beiden Fragen immer wieder gestellt haben, so darf man sie selbst umgekehrt auch nicht als nostalgisch abtun : Wie viel Zeit bleibt heute im Journalismus ? Wie steht es um seine Unabhängigkeit ? Und wie hängen diese beiden Fragen zusammen ?

Der Haupttrend der Medienentwicklung, wie aller gesellschaftlichen Bereiche, ist unbestritten die Digitalisierung. Sie hat dazu geführt, dass sich die Werbung zunehmend von der Zeitung als ihrem physischem Träger abgelöst hat. Dadurch wurde die Symbiose von Journalismus und Werbung zerstört, die Presse stürzte in eine Finanzierungskrise. Gerne wird dabei übersehen, dass mit der Neoliberalisierung der Medien ein zweiter Prozess mindestens so entscheidend war. Die Orientierung auf eine reine Profitlogik hatte sowohl finanzielle wie auch organisatorische Konsequenzen.

Die Neoliberalisierung verschärft die Finanzierungskrise der Publizistik zusätzlich. So setzt beispielsweise die Tamedia auf eine strikt getrennte Buchhaltung. Ihre publizistische Leitmarke « Tages-Anzeiger » erhält weder Geld von der Cashcow « 20 Minuten » noch von den florierenden Rubrikenmärkten im Internet. Dank Skalen- und Verbundeffekten konnten die grossen Konzerne ihre Marktmacht monopolisieren. In der Westschweiz kommt die Tamedia heute auf einen Anteil von mehr als sechzig Prozent der LeserInnen, sowohl im Print wie auch Online.

Organisatorisch hat ein Rollenwandel des Chefredaktors stattgefunden, vom Publizisten hin zum Manager. Die Leitung der Redaktion erfolgt im Sinn eines Profitcenters weniger nach publizistischen denn nach ökonomischen Vorgaben. Für die Journalistinnen und Journalisten steigt die Arbeitsbelastung, die Arbeitsplatzsicherheit wiederum sinkt. Gemäss einer aktuellen Studie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften zum Berufsbild der Journalistinnen und Journalisten klagt eine Mehrzahl über merklich verschlechterte Arbeitsbedingungen : Sie müssten immer mehr arbeiten und hätten gleichzeitig immer weniger Zeit, Artikel vertieft zu recherechieren. Die Löhne stagnieren seit zwanzig Jahren, gemäss der Studie liegt der Durchschnittslohn bei 6000 Franken, wobei Frauen besonders benachteiligt sind. In der Deutschweiz und im Tessin gibt es keinen Gesamtarbeitsvertrag.

Die Profitmaximierung und Mono-polisierung sowie der Zeitdruck und die Arbeitsbedingungen bleiben nicht ohne Folgen für die Demokratie. So gibt es in der politisch kleinteiligen Schweiz kantonale oder kommunale Parlamente und Regierungen, die oft nur noch von einem Medienkonzern ausgeleuchtet werden. Hinzu kommt die Berichterstattung der SRG, die zur Herstellung der politischen Öffentlichkeit eine umso grössere Bedeutung hat. Der Zeitdruck auf den Redaktionen führt dazu, dass PR-Spins umso leichter Zugang in die Medien finden. Die Journalistinnen und Journalisten sind einer deutlich grösseren Zahl von PR-Fachleuten ausgesetzt. Dies verhindert insbesondere eine kritische Wirtschaftsberichterstattung, doch auch die Demokratie nimmt Schaden: Sowohl die Parteien – namentlich die SVP mit ihren Propagandamillionen – wie auch die Verwaltung können ihre Sicht oder noch wichtiger ihre Begriffe oft unhinterfragt in den Medien platzieren.

Eine unabhängige Presse ist deshalb zwingend auf mehr Zeit angewiesen: Zeit, um Meldungen zu überprüfen, aber Zeit auch verstanden als historischen Bewusstsein, um eine Meldung gewichten zu können. Die Grundlage für anständige Arbeitsbedingungen sind ein Gesamtarbeitsvertrag, nachhaltige Finanzierungsmodelle für den Journalismus sowie ein starker Service public. Die Pressefreiheit steht wohl in der Verfassung. Zu ihrer Entfaltung kommt sie aber erst, wenn sie erstritten wird und erwirtschaftet